Ein abgesägter Baumstumpf, aus dessen Mitte ein kleiner Sprössling wächst.

Die Zeit zur Veränderung ist jetzt!

Eine Buchbesprechung zu P. Reinhard Körners Impulsen in Krisenzeiten

Der Schweizer Theologe und Heilpädagoge Dr. Wolfgang Broedel hat sich ausführlich mit dem Buch »Was mich bewegt - Unsere Chance in einer schweren Zeit« von Pater Reinhard Körner OCD auseinandergesetzt. In dieser Rezension lässt er die Leserinnen und Leser an seinen Erkenntnissen zu diesem hochaktuellen Buch teilhaben.

Die Corona-Krise - ein Chance für die Menschen?

P. Reinhard Körner OCD beschreibt die Chancen, die die Corona-Krise für jeden Einzelnen, für die Gemeinschaft der Kirche, für die (westliche) Gesellschaft und für die Menschheit mit sich bringt. Es handelt sich um Empfehlungen. Ob und wie diese genutzt werden, wird sich zeigen. Wird nichts getan und nichts dazugelernt, drohen die alten Probleme verstärkt wieder aufzutreten.

9 Thesen für die Veränderung

Der Autor entwickelt seine Sichtweise in neun Thesen:

  1. Wir sind nicht die Größten

  2. Wir sind auf unser Haus, die Erde, angewiesen

  3. Wir sind mit Vernunft begabt und zu lieben fähig – eigentlich

  4. Was uns verbinden kann, ist Hören auf Weisheit

  5. Wir dürfen hinter die Entdeckung Gottes nicht mehr zurück

  6. Gottes »Volk« ist die Menschheit

  7. Jesus von Nazaret ist »Kulturerbe« der gesamten Menschheit

  8. Aufräumen ist dran!

  9. In den Demokratien wird Liebe zur Weisheit heranreifen müssen

Die Titel der einzelnen Thesen sind unterschiedlich «aufregend», aber in ihrer Ausführung immer spannend, konkret und breit abgestützt.

Hören auf die Weisheit - Hören auf Gott

Besonders am Herzen liegt P. Körner das Hören auf Weisheit, eine Art von Grundspiritualität, die es nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft zu entdecken, zu lernen und zu pflegen gilt. Das Hören auf Weisheit ist ein tiefes Hören auf Wahrheit und Liebe. Es verbindet alle Menschen und alle Religionen. Weisheit kann man nicht machen, sich »nur« für ihre »Stimme« öffnen.

Weisheit kennt viele Wege, um zum Menschen zu sprechen. Immer braucht es ein hörendes Herz. Der Autor vergleicht das Hören auf Weisheit mit einem Blindenführer, der unser Denken und Lieben vor Abstürzen bewahrt.

Hören auf Weisheit ist eine Grundkompetenz für die Erneuerung und die nachhaltige Entwicklung auf allen Gebieten. Deshalb sollte sie u.a. fest in den Bildungskanon aufgenommen werden. (Vgl. 31, 79)

Hören auf Weisheit ist in der Tiefe, so P. Körner, Hören auf Gott. Die Corona-Krise bietet gläubigen Menschen die Chance, das immer noch wirksame dualistische, ambivalente Gottesbild zu überwinden und nach dem liebenden Gott auch in schwerer Zeit zu suchen. Ohne unbedingtes Gottvertrauen geht das nicht.

Die Corona-Krise bietet Christen auch die Chance, ihr Bild von Gott (endlich) trinitarisch zu vertiefen. Ob sich die säkulare Gesellschaft diesen Positionen anschließt, wäre zu erkunden.

Jedenfalls kann, auch aus kirchlich-theologischer Sicht, Gott zum Thema aller Menschen werden. Das setzt ein offenes, weites Verständnis von Kirche (»Gottes ›Volk‹ ist die Menschheit«) und ein offenes, weites Verständnis von Gott voraus (»Und dabei werden wir auch etwas von einander lernen können, die Religiösen von den Religionslosen, die Religionslosen von den Religiösen und die eine Religion von der anderen…«). (55)

Der Hinweis auf Jesus, der »Kulturerbe der gesamten Menschheit« ist und ein Lebenskonzept für die Welt anbietet, kann nach P. Körner auch von Nichtchristen akzeptiert werden. Letztlich führt auch dieser Zugang zu Gott, mit dem Jesus in einer unüberbietbar engen Beziehung steht, ohne die seine unbedingte Liebe zu den Menschen nicht zu verstehen ist.

Größenwahn und Minimalismus

Die Thesen 1–3 beschäftigen sich mit dem (neurotischen) Größenwahn des Menschen.

These 8 »Aufräumen ist dran!« greift (unausgesprochen) den im Westen beobachtbaren Trend zum Minimalismus auf.

P. Körner nennt einige Beispiele dafür, dass die Rückkehr zum Einfachen und Wesentlichen auch für die Kirche ansteht: »Prüfet alles und behaltet das Gute!« (1 Thess 5,21) (67). Erwähnt wird vor allem das Gottesverständnis, das von objektivierenden und ambivalenten Fehlentwicklungen zu reinigen sei. Aufräumarbeiten stünden auch beim Amtsverständnis, der Abendmahlspraxis, beim Bibel- und Sakramentenverständnis, bei der Gebets- und Liturgiepraxis an (68-71). Dafür brauche es »gute« Theologen und Theologinnen: »Theologe ist , wer sich dem ›theos‹ - Gott selbst – zuwendet, mit ihm in einer persönlichen, wenn auch noch so armseligen inneren Beziehung lebt, alle seine ›Logie‹ an Jesus und seiner Botschaft misst und ihm dabei in die Augen schaut.« (71)

Das »Aufräum-Kapitel« schließt mit der kritischen Bemerkung, dass viele Gemeinden und Pfarreien in der Corona-Krise nur darauf warteten, im gewohnten Stil weitermachen zu können. Viele Chancen für eine innere Erneuerung der Gottesdienstpraxis würden dadurch vertan. (72)

Im letzten Kapitel wendet P. Körner sein Postulat nach einer Grundspiritualität, die Hören auf Weisheit meint, auf das Demokratieverständnis an. Es brauche dabei einen festen Entschluss: »Es mag mir ruhig Schaden geschehen. Geschieht nur dem Geist der Wahrheit kein Leid.« (Eva Strittmatter, Zwiegespräch) (80)

Fazit

P. Reinhard Körner gibt dem Leser und der Leserin ein Skizzenbuch an die Hand. Vieles wird in Umrissen angedeutet: als Einladung zum Weiterzeichnen.

Die Grundausrichtung des Buchs ist klar: Die Corona-Krise ist ein Zeitzeichen, mit einer umfassenden geistlichen Erneuerung in Kirche, Gesellschaft und Welt zu beginnen. Wer das im Buch Angedeutete ausführlicher dargestellt haben möchte, findet es in den zahlreichen Veröffentlichungen von P. Körner.

Jedes Buch berührt jeden Menschen anders. Mich hat (u.a. !) der Abschnitt »Weisheit oder Torheit« (79) animiert, wieder einmal in das »Lob der Torheit« von Erasmus von Rotterdam hineinzuschauen. Hier lernt man mit Witz und Esprit, wie Torheit die wahre Weisheit, eingebildete Weisheit hingegen Torheit ist. (Vgl. 1 Kor 1, 25 u.ö.) Für mich wäre das »Lob der Torheit« von Erasmus Pflichtlektüre für alle, die sich um Bildung, verstanden als »Heranbildung der eigenen Urteilsfähigkeit« (78) bemühen.

Quellen

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